10/30/2012

VERGEBEN, VERGESSEN, VERMISST. [Romanauszug]

 

"Ich war früher so gut darin. Nicht so phänomenal wie Dallas Green im Schreiben monumental erschütternder Songtexte oder Al Pacinos Darbietung als junger Pate - aber ich war gut.
Ich habe meistens nur kurz oder nie geweint. Aus Gewissenbissen, wegen genau diesem Punkt habe ich dann zumindest alibiweise 500ml Cookie Dough Eiscreme gegessen, fettige Pizza geordert und mit legalem Grund viel Wein getrunken.
Das erwünschte Konsumieren von Unmengen von Wein ist sowieso das Beste an jeder Trennung.
Dann habe ich ohne mit der Wimper zu zucken die vögelfreien Wochen des Ex-Freundes erduldet, nur über jede 3. hämische Kommentare abgegeben und nur jede 6. mit einem mitleidigen Blick betitelt.
Ich habe sogar sämtliche der nächtlichen Liebesbekundungen freundlich aber bestimmt zurückgewiesen. Kein fieses Hoffnungen machen. Kein warm halten.
Kannst du dich noch an das eine Mal erinnern, als jener Lebensabschnittsbegleier der Meinung war er müsse unter meinem Fenster bestechlich laut und unglaublich atonal  "With or without you" von U2 singen? Nicht einmal den habe ich unwirsch abgewürgt. Ich habe ihn aussingen lassen, ihm eine Aspirin, einen Bademantel und die Karte vom Taxiunternehmen gereicht, bevor ich ihn bat mich - scheiße nochmal - nie wieder zu belästigen.
Was ich damit sagen will ist: Ich war gut im Trennen.
Ich bin nie durch irgendwelche 7 oder 8 Phasen gegangen. Ich hab eine Entscheidung getroffen. Und dann weitergemacht. Es besser gemacht.
Ich brauchte nie irgendeinen Rückspiegel um mich nochmal und nochmal und nochmal vor lauter Einsamkeit davon zu überzeugen, dass der letzte Fehlgriff nicht doch noch zumindest zu Discountware aufgestiegen ist.
Und wenn nach 2 oder 3 Monaten dann doch mal Einsamkeit oder Wut aufkeimte, dann zog ich los und schrie irgendeine H&M Mitarbeiterin wegen ihrer Inkompetenz zusammen. Damit kann man übrigens nie was falsch machen."

"Hast du den Bademantel eigentlich je wiedergesehen?"

"Darum geht es doch gar nicht. Kannst du dich bitte konzentrieren?!"

"Worum geht es dann?"

"Ich bin urplötzlich schlecht im weitermachen. Ich meine, kann man das verlernen? Ist das nicht wie Fahrrad fahren? Obwohl ich da keine Vergleichsmöglichkeit habe, weil ich es nie konnte – aber was ich eigentlich sagen will: was zur Hölle passiert hier mit mir?
Ich – ich – weine. Ständig. Und zwar nicht, ein paar leise Tränen, die dekorativ über die Wangen laufen, sodass ich mich ans Fenster stellen und eine Interpretation von Kate Hudson abgeben könnte. Nein. Ich sehe dabei eher aus wie Claire Danes in Rome & Juliet. 
Den ganzen Tag fühle ich mich ununterbrochen hundeelend und sobald ich auch nur kurz an ihn denke, bekomme ich zusätzlich noch Bauchschmerzen. 
Ich musste sämtliche meiner Playlists löschen, meinen Filmgeschmack ändern, mir sogar eine neue Lieblingsserie suchen. Wenn Chuck und Blair sich ein Wortgefecht liefern. Wenn Tom betrunken zum Mikro greift. Ein Wort von Jacob Underwood über Love and Crime und ich bin geliefert.
Ich gehe nicht mehr zu Starbucks, esse kein Fast Food mehr, kann keinen Kirschtee mehr sehen. 
Ich habe mein Bett abgezogen, meine Pinnwand leer geräumt, ein neues Parfum gekauft und jedes Outfit verbannt in dem er mich schön fand. Ich habe sogar mein Waschmittel gewechselt. Trotzdem hängt sein Geruch in jedem Raum. Sogar meine Lieblingsbücher zu lesen, bereitet mir schlimmste Übelkeit. Und dafür finde ich ihn echt zum Kotzen!
Ich nehme das Handy 2 Mal die Stunde in die Hand um ihn anzurufen, weil ich gerade etwas Absurdes gelesen oder gesehen habe. Und bevor er rangehen kann, lege ich auf und ignoriere seine Rückrufe. Oder bin kurz vorm Ausflippen, weil er nicht zurückruft.
Glaub mir, würde ich mich selbst hören, ich würde eine Abschiebung nach Conneticut in Erwägung ziehen. Dort könnte ich dann in irgendeinem Kleinstadtvorort mein armseliges Verhalten beim Tanztee oder Gärtnern überdenken und Reifröcke tragen."

"Ziemlich viele Worte für : Ich vermisse dich."

"Was genau vermisse ich denn eigentlich?"

"Nicht was. Du vermisst nicht nur das Wortgefecht. Oder einen endlos langatmigen Kunstlfilm. Oder schlechte Popmusik. Oder glutamathaltiges Essen. Einen gemeinsamen Abend. Deinen Kopf auf seiner Schulter. Irgendein Bild oder ein Telefonat oder vielleicht sogar einen Moment. Dann wäre es einfach. Dann wäre alles wie immer.
Dann könntest du genau so weitermachen, wie du es über die Jahre perfektioniert hast. Dann würden wir jetzt Wein aus Pokal-Gläsern trinken und über den letzten lächerlichen Istagram-Post seiner neusten, geistlosen Eroberung debattieren.
Du wirst nicht schmerzhaft an irgendwelche Szenarien, die du mit jedem hätten erleben können, erinnert.
Du vermisst keine Dinge.
Du vermisst ihn."

"Ich vermisse ihn. Ja. Sehr sogar."

 "Und was machen wir jetzt?"

"Wir könnten es nochmal mit dem Wein versuchen oder?" 







42 Kommentare:

  1. Toll geschrieben, ich frage mich jedesmal wie man nur so unglaublich toll aussehen kann echt wunderhübsch :)

    AntwortenLöschen
  2. wow es ist so gut geschrieben! ich will weiterlesen. wenn es rauskommt, würde ich es sofort kaufen! :)

    AntwortenLöschen
  3. Wow, zieht einen irgendwie total in seinen Bann was du da geschrieben hast. Ich bin gespannt wie's weitergeht!

    AntwortenLöschen
  4. wow, mag unbedingt weiterlesen! :) freu mich schon auf die fortsetzung.

    AntwortenLöschen
  5. ich dachte zwischendurch, dass du über mich schreibst:D mir geht es genau so:)

    http://everythingblurry.blogspot.de/

    AntwortenLöschen
  6. Liiinaaaa tu mir das nicht an ! Ich muss das Buch haben wenn es rauskommt! Genau diese Szenerie hat sich bei mir auch abgespielt , mit den gleichen Fragen und gleichen Reaktionen.. vielleicht werde ich dann "weitermachen" können wenn ich die Lösung in deinem Buch gefunden habe :) einfach grandios dein Stil!
    Liebe grüße

    Julia von beauty in the slaughterhouse <3

    AntwortenLöschen
  7. Du schreibst so unglaublich gut!! Man kann sich sofort ganz und gar hineinversetzen <3

    AntwortenLöschen
  8. Wundervoll, Lina! So selbstironisch, satirisch und tragischkomisch, hach, das beschwingt meinen Tag, :)

    AntwortenLöschen
  9. Der Text gefällt mir leider nicht :/

    AntwortenLöschen
  10. Wirklich toll und gut zu lesen! Wie weit bist du denn mit deinem Werk?
    Liebste Grüße!
    Sarah von Fanatisch mit Stil

    AntwortenLöschen
  11. Wow, einfach nur toll, du kannst wunderbar schreiben und die Szene erinnert mich doch in so vielem an Dinge die man selbst schon durchgemacht hat. Du kannst es wunderbar in Worte fassen. :) Ich würde das Buch liebend gerne lesen wenn es fertig ist.

    Liebe Grüße, Caren

    AntwortenLöschen
  12. ich mag deinen schreibstil sehr und würde wahrscheinlich auch dein buch kaufen. dennoch schwingt für mich meist eine gewisse arrogante selbstverherrlichung mit, die ich zwar ganz witzig finde, mich aber zum geistigen augenrollen bringt. manche gedankengänge hören sich für mich sehr kindisch an.
    (gute besserung für deinen liebeskummer, es ist hart.)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Arrogante Selbstverherrlichung?? Ich denke, ich zeichne den Charakter recht selbstironisch, und satirisch. Natürlich ist das keine vernünftige, erwachsene und geerdete Umgangsweise. Aber der Charakter ist eben auch mehr Lorelai Gilmore als Hillary Clinton.

      Löschen
  13. Liebe Lina,
    deine Romanauszüge sind immer ein besonderes Highlight für mich.
    Dein Schreibstil ist nicht nur wunderbar zu lesen, sondern du findest auch tolle neue sprachliche Bilder gepaart mit einem Hauch Ironie, der bei weitem nichts mit "einer gewissen arroganten Selbstverherrlichung" zu tun hat.
    Mit der bitte um mehr!
    Ganz liebe Grüße das Fräulein Chaos

    AntwortenLöschen
  14. einfach nur GE-NI-AL! x3

    AntwortenLöschen
  15. Habe in Deinem Text Trost gefunden.

    AntwortenLöschen
  16. Wie kann man denn jemanden mit einem mitleidigen Blick "betiteln"? Ich würde da stattdessen eher "versehen" nehmen. ;) Außerdem ist weniger manchmal mehr - konzentrier dich vielleicht mal mehr auf das Gefühl und nicht so sehr dadrauf, es schön zu verpacken.

    Versteh das nicht falsch, ich fand es ziemlich gut. Wirklich. Sehr sogar. Und es hat mich zum Grinsen gebracht - vielen Dank dafür! <3

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. "weniger" ist einfach nicht mein Erzählstil. Oder mein Lebensstil. Oder mein Konsumstil. :)
      Und manchmal drückt man indirekt sein eigentliches Gefühl aus, weil man ein anderes mit zu vielen Worten zu beschreiben versucht.

      Und das Einzige, was ich "versehe" sind Marmeladengläser mit Etiketten :D
      xoxo Lina

      Löschen
  17. Wann kommt dein Buch endlich raus.. ich kann es kaum erwarten :)

    AntwortenLöschen
  18. wunderschöner Text!
    ich liebe es wie du schreibst, so traurig, aber trotzdem bringst du mich immer wieder zum Lächeln ;-)
    LG Katrin

    AntwortenLöschen
  19. Ich bin auch immer ein heißer Fan von deinen Romanauszügen und auch diesmal fand ich es wieder toll! Ich finde, genauso wie du schreibst, ist es perfekt. Ist es nicht so, dass man auch mal "kindisch" denkt? Also ich mags und manchmal denk bzw. handel ich auch so, weils in der Kindheit auch geklappt hat :D

    Übrigens das mit den H&M Mitarbeiterin ist ja sowas von berechtigt ;)

    Doch am besten ist nun mal der Schluss.

    AntwortenLöschen
  20. der romanauszug ist so fantastisch geschrieben, du bist eine wirklich gute schreiberin :-)
    und das bild ist sehr hübsch
    xoxo

    AntwortenLöschen
  21. wenn ich die kommentare hier lese, finde ich es echt lächerlich wie du beinahe zickig reagierst, wenn jemand mal was anderes als "totaaal super, genial blabla" schreibt. nimm doch nicht alles als angriff, vielleicht denkst du über konstruktive kritik einfach mal nach anstatt dich zu rechtfertigen oder einfach eingeschnappt zu vermitteln, dass die kommentierenden deine texte einfach nicht verstehen?! (ich meine konkret den kommentar von sarah und JA, "betiteln" ist hier falsch.)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Würde ich auf die Kommentare nicht reagieren, würdest du mir wohl vorwerfen, ich würde konstruktive Kritik übergehen, ich wäre zu stolz, um mich mit ihr auseinanderzusetzen, usw.
      Ich hab keine der Kritik als Angriff gesehen, ich habe mich auch nicht gerechtfertigt, sondern darüber diskutiert.
      Mich regen konstruktive Meinungen an, bedeuten aber nicht gleichzeitig, dass der andere "Recht hat" oder ich sie 1:1 umzusetzen habe, nur damit mir niemand "Arroganz" unterstellt oder?
      Ich würde es weiterhin schön finden, wenn du von deinem Ross absteigst und meine Leser nicht angehst, nur weil sie eine andere Meinung vertreten als du. Ihre positive Kritik als "blabla" abzutun, nur weil sie dir scheinbar nicht passt, das ist das, was hier "echt lächerlich, beinahe zickig und falsch" ist.

      Löschen
    2. und schon wieder machst du es... es ist absolut klar, dass ich die positive kritik und die tollen komplimente deiner leserInnen nicht abtun wollte! "blabla" war dabei eher als "usw." gedacht.

      Löschen
    3. Lina hat bereits einen eigenen Stil gefunden Geschichten und Ideen sprachlich umzusetzen. Menschen haben nunmal (Gott sei Dank) unterschiedlichste Geschmäcker und es wird sich immer jemand finden, dem ihre Texte, ihr Schreibstil oder was weiß ich was nicht gefallen. Konstruktive Kritik sollte man sich zwar anhören und darüber nachdenken; aber verbiegen sollte Lina sich nicht dafür - immerhin ist es noch immer IHR Text und IHR Buch.




      Löschen
  22. Zum ersten Mal habe ich einen deiner Romanauszüge gelesen, und ich glaube ich muss mich mal durch deinen Blog klicken und die älteren auch noch heraussuchen. :)
    Das hat mir wirklich total gut gefallen. Sprachlich wirklich schön, ironisch, witzig und dann mit dem Wandel zum Tragischen, wobei das ist vielleicht das falsche Wort für den letzten Absatz, den die Freundin zum Besten gibt, aber dieser Absatz hat mir so eine unglaubliche Gänsehaut verpasst, er trifft einfach den Nagel auf den Kopf. bittersüß ist vielleicht das richtigere Wort.
    Vielen Dank dafür.

    AntwortenLöschen
  23. Wunderschön geschrieben und mit jeder Zeile hast du mich berührt. Mir fehlen die Worte ganz ehrlich. :)

    Lg aus Wien

    AntwortenLöschen
  24. Wow, wow, wow, wow :o
    ich bin zum ersten Mal hier auf deinem Blog & gleich der erste Post haut mich total um.

    Du schreibst echt wahnsinnig gut & wenn du ein Buch rausbringst werde ich es auf jeden Fall lesen.

    AntwortenLöschen
  25. Wann auch immer das Buch erscheint - ich werde es auf jeden Fall kaufen!

    AntwortenLöschen
  26. ich finde den Text leider auch nicht gut. Wirkt sehr arrogant und überzogen.

    AntwortenLöschen
  27. "Aber der Charakter ist eben auch mehr Lorelai Gilmore als Hillary Clinton." Und genau das ist das herrliche daran. Ich kann es jedes Mal kaum erwarten, einen deiner Romanauszüge zu lesen. Selbst während des Lesens bin ich noch ganz hippelig.
    Dieser gefällt mir besonders gut. Er ist so wunderbar selbstironisch und dennoch hat man das Gefühl, die Worte kommen aus tiefstem Herzen und jeder von uns erkennt ein kleines Stückchen von sich selbst darin wieder!
    Ich will dieses Buch ♥

    AntwortenLöschen
  28. Bevor ich einen solchen Text veröffentlichen würde, würde ich ihn als erstes mal auf Rechtschreibfehler und korrekte Kommasetzung kontrollieren.
    Des Weiteren ist mir aufgefallen, dass es sehr anstrengend ist, deine Texte zu lesen - vor allem da du (meiner Meinung nach) viel zu viele Vergleiche zu irgendwelchen fiktiven Personen anstellst, die einige (nicht alle) spätere Leser kaum kennen mögen. Außerdem sind deine Texte ziemlich "ich - bezogen" und wirken dadurch schnell abgehoben und eingeschränkt. Dein Schreibstil ist gut, aber auch sehr durchschaubar. Einige Passagen sind viel zu ausgeschmückt, man neigt dadurch schnell dazu, sie lieber zu überfliegen, als jedes einzelne Wort beim Lesen zu genießen ... es ähnelt einer Hetzjagt von Gefühlen, Ausschmückungen und Vergleichen - man verfängt sich und vergisst, worum es eigentlich geht.

    AntwortenLöschen
  29. Ich freue mich immer die ganze Woche auf einen neuen Roman Auszug von dir.
    Deine Beschreibung "Bloggerin mit Schreiberherz" trifft, wie ich finde, absolut zu! Der Text ist richtig schön, so melancholisch aber trotzdem aufrichtig. Danke, und ich freue mich schon auf den nächsten. Dein Stil ist klasse, du bist sehr inspirierend! <3

    Liebe Grüße Janina

    AntwortenLöschen

Sag was!

Du kannst deine Antwort hier posten oder mir via mail@linamallon.de schreiben. Ich freu mich auf deine Worte!

Positionierungen, Anregungen und auch Kritik sind super!
Allerdings macht – wie immer im Leben – der Ton die Musik.
Beleidigungen und Anschuldigungen gegen mich oder meine Leser gehören sich nicht und werden kommentarlos gelöscht. Heiratsanträge, sind natürlich weiterhin willkommen!

Lina Mallon. Powered by Blogger.